GGBOPolitik

Über zerstörte Leben und die Aufgabe der Rechtsstaatlichkeit

Birgit Mennel/ Monika Mokre

„Vorarlberger ersticht Beamten. Der Hintergrund des Tötungsdelikts ist ungeklärt, dürfte jedoch auf eine traumatisierende Vorgeschichte zurückzuführen sein.“ Auf diese Art ließe sich das beschreiben, was in der BH Dornbirn am 6. Februar geschah. Denn der Täter ist nach jeder sinnvollen Definition Vorarlberger: Er wurde in Vorarlberg geboren, hat dort – gemeinsam mit seiner Familie – 24 Jahre seines Lebens verbracht und das Land nur unfreiwillig verlassen. Aufgrund eines – wahrscheinlich unzulässigen – Aufenthaltsverbots, verhängt von dem Mann, der nun auch in sein Ansuchen um Grundversorgung involviert war. Eine schreckliche Tat war die Folge dieser Verquickung von Zufällen und lebensgeschichtlichen Katastrophen.

Aber: Der Mann ist Türke und Asylwerber. Und so wird seine Tat pauschal zur Tat eines Türken und/oder Asylwerbers. Und zu dieser Pauschalschuld des Fremdseins tritt nahtlos eine größere individuelle Schuld hinzu: Ohne dass es eines gerichtlichen Urteils bedarf, wissen Polizei, Medien wie auch zahlreiche Bürger_innen, dass es sich bei diesem Tötungsdelikt um Mord handelt, genauer gesagt um einen feigen und hinterhältigen Mord. Die Härte dieser Vorverurteilung entspricht der Härte von Gerichtsurteilen über Menschen mit der falschen Staatsbürger_innenschaft und hat auch dieselben Hintergründe: Dieser Mensch hätte nicht hier sein sollen, vielleicht noch nie, immerhin ist er ja ein Türke, aber ganz sicher nicht mit seiner kriminellen Vorgeschichte. Er ist also fraglos doppelt schuldig – des Hierseins und der Straftaten.

Worüber allerdings nicht gesprochen wird: Der Mann hat seine vorherigen Straftaten so abgebüßt, wie das Gesetz es vorsieht, durch Freiheitsstrafen – die laut Strafvollzugsgesetz auch seiner Resozialisierung hätten dienen sollen. Dass dies nicht gelang, ist die Regel und nicht die Ausnahme und wundert niemanden, der schon je mit Gefängnissen und Strafvollzug in Berührung gekommen ist.  Im Falle von Nicht-Österreicher_innen macht auch das Gesetz selbst deutlich, dass es an Resozialisierung nicht glaubt: Denn nachdem die Strafe abgebüßt ist, werden der Aufenthalt zwangsweise beendet und die Rückkehr verboten. Nicht als Doppelbestrafung, das stünde im Widerspruch zum Gesetz, sondern zur Prävention, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, die durch die angebliche Resozialisierung nicht gewährleistet werden. Die Auswirkung ist selbstverständlich dennoch eine Doppelbestrafung – die folgerichtig ist: Die Straftat und das Hiersein werden bestraft.

Doch der Täter hat seine Schuld noch vergrößert: Trotz zehnjährigem Aufenthaltsverbots ist er bereits einige Monate nach seiner Abschiebung wieder in seine Heimat zurückgekehrt – und wurde für das noch schuldhaftere Hiersein eben noch härter bestraft, mit einem unbefristeten Aufenthaltsverbot. Und nun hat er, weitere zehn Jahre später, neuerlich versucht, nach Hause zu kommen. In der einzigen Form, die ihm möglich erschien, mit einem Asylantrag. Dieser wurde auch angenommen, ohne dass ihm sofort der Aufenthalt und die Möglichkeit, um Asyl anzusuchen, entzogen wurden und ohne dass er sofort festgesetzt wurde.

Daraus lässt sich nun ein weiterer Schuldiger konstruieren: der Staat. Der all dies hätte verhindern müssen, entweder durch Anwendung der bestehenden Gesetze oder durch eine Gesetzesänderung, wenn nötig auch durch eine Abänderung der Erklärung der Menschenrechte. Denn die Menschenrechte gehen nach einer eher neuen, aber rasch populärer werdenden Auffassung in Österreich ohnehin viel zu weit und werden zu allem Überfluss auch noch von dem für sie zuständigen Europäischen Gerichtshof rigoros eingefordert. Doch auch Menschenrechte haben ihre Grenzen, wie diejenigen argumentieren, die eine Verfehlung bei der Anwendung existierender Gesetze orten: Als Gefahr für die öffentliche Sicherheit hätte man den Mann präventiv wegsperren müssen. Was spielt es für eine Rolle, dass seine Straftaten mehr als zehn Jahre zurückliegen? Was spielt es für eine Rolle, dass es Eigentums- und Suchtmitteldelikte waren? Einmal Krimineller, immer Krimineller, irgendwie Krimineller, in jeder Hinsicht Krimineller. Dies ist die stets angewendete Daumenregel – die umso mehr gilt, wenn es sich um einen Kriminellen mit der falschen Staatsbürger_innenschaft handelt.

Diese Geschichte vielfältiger Schuld lässt sich als Geschichte vieler Opfer erzählen. Und eines dieser Opfer ist der Rechtsstaat.

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