GGBO

Stimmen von drinnen Teil 1

Vor einiger Zeit haben wir diesen Aufruf veröffentlicht:

Was erlebt ihr im Gefängnis? Wie schaut euer Alltag aus? Was stört euch besonders, was sollte verbessert werden, was läuft einigermaßen gut? Wie hat sich euer Leben durch die Pandemie verändert? Was würdet ihr euch wünschen? Erzählt  von euren Erfahrungen, Erlebnissen und Gedanken. Wenn ihr wollt, veröffentlichen wir eure Berichte, damit mehr Menschen erfahren, wie das Leben im Gefängnis ist. Schreibt in eurer Sprache; wir können übersetzen.

Darauf sind auch einige Reaktionen gekommen, die wir hier nun laufend veröffentlichen wollen.

Und natürlich freuen wir uns auf weitere Zusendungen:

Gefangenengewerkschaft Österreich

c/o Migrating Kitchen

Schwarzhorngasse 1/ Ecke Bacherplatz1050 Wien

ggboraus-soli-wien@autistici.org

https://www.facebook.com/gefangenengewerkschaft.oesterreich

Offener Brief an Monika Mokre und die Gefangenengewerkschaft

Seid gegrüßt, Genossen und Genossinnen!

Ich konnte es einfach nicht lassen, Ihnen eine “Rückmeldung” zu schreiben. Ich nehme die volle Verantwortung für das, was ich verfasse, und möchte (bzw. bitte darum), dass Sie meinen Artikel für alle lesbar veröffentlichen.

Der Bericht der Monika Mokre bezüglich des verstorbenen Tschetschenen ließ mich kalt. (Magazin “Blickpunkte”, Ausgabe 2/2021)

Warum das so ist, möchte ich erklären.

Zuerst einmal möchte ich der Person selbst eine (für mich) bedeutende Frage stellen:

Sie studierten Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien und sind seit 30 Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gut.

Nun aber sind Sie auch noch “Aktivistin” und setzen sich “für die Rechte von Menschen im Gefängnis” ein. Bei Menschen wie Ihnen frage ich mich: Ist Ihnen langweilig? Sie haben viel erreicht und dafür verdienen Sie meinen Respekt. Doch alles andere, was sie tun, ist überflüssig.

Bei Leuten wie Ihnen, die sowieso schon sehr viel Ansehen genießen, denke ich mir oder rede mir ein, dass sie ihr eigenes Ego erheitern wollen. Es ist wohl eher eine Frage des Egos als der eigenen Hilfsbereitschaft. Wollen Sie sich besser fühlen oder fühlen Sie sich besser, wenn sie “Anderen” helfen? Fühlten Sie sich schuldig, dass sie als 1. weiße und 2. “wohlernährte” Europäerin bzw. Österreicherin Privilegien genießen, von denen Sie behaupten, dass es Migranten nicht tun oder können? Wollten Sie sich besser fühlen, weil Sie einerseits zwar von “Unrecht” reden, andererseits aber zur oberen Mittelschicht und somit zur Wiener Bourgeoisie gehören?

Leute wie Sie sind es, denen es so gut geht, dass sie sich für irgendetwas einsetzen, sei es für das “Klima”, “Pussy Riot” oder LGBT. Doch das ist nur meine Meinung.

Als nächstes möchte ich auf einen weiteren Satz von Ihnen reagieren:

“Der Rassismus des großen Gefängnisse Europa, des großen Gefängnisses Österreich, wird im kleinen Gefängnis besonders deutlich.”

Sie nennen Europa ein “Gefängnis”, wo die Menschen bzw. die Migranten ununterbrochen Rassismus ausgeliefert sind, “benachteiligt” werden und “kein stabiles Leben” aufbauen können.

Glauben Sie mir, Frau Mokre: Ich bin in einem echten Gefängnis und Europa an sich ist keines. Das können die Millionen Wirtschaftsflüchtlinge und die paar Kriegsflüchtlinge, die in Massen nach Europa eilen, bestätigen. (Bin selber aus einer tschetschenischen Migrantenfamilie.)

Was mich aber am meisten interessiert, ist, das, wofür sich diese “Solidaritätsgruppe für eine Gefangenengewerkschaft” einsetzt: 

  • Freier Zugang zum Internet
  • Gleiche Preise beim Einkaufen wie draußen
  • Mehr und entspanntere Kontaktmöglichkeiten zu Freund/innen.

Während Sie sich darüber aufregen und sich darüber beschweren, wie “schlimm” das Justizsystem ist und auch noch Lockerungen, wie Internet, fordern, beschwere ich mich, warum es in den österreichischen Gefängnissen nicht noch viel härter zugeht.

Hier zwei Beispiele:

In den fast vier Jahren, die ich einsitze, habe ich 4 bis 5 Mörder getroffen, die alle vor mir entlassen wurden. Das Schlimme war nicht, dass sie entlassen wurden, sondern die Tatsache, dass keiner dieser Mörder ihre Strafen bis zur Gänze abgesessen haben. Alle wurden bedingt entlassen. Auch abgesehen von den Mördern habe ich es sehr selten erlebt (so selten, dass ich diese Leute mit den Fingern aufzählen könnte), dass jemand seine Strafe bis zur Gänze absitzt. Selbst Rückfällige, die schon zum zweiten oder dritten Mal sitzen, wurden bedingt aus der Haft entlassen. Das ist das eine.

Das andere ist der sogenannte “Wohngruppen-Vollzug”:

Fällt man ein bis zwei Monate nicht auf, kommt man in den Wohngruppen-Vollzug, wo man bis 22 Uhr “offen” ist, also man kann sich mit anderen Insassen unterhalten, kochen, sich frei auf der Abteilung herumbewegen, “Wii” oder “Playstation” spielen usw.

Das ist wahrscheinlich ein Mitgrund, warum die Insassen rückfällig werden.

Was symbolisiert das eigentlich?

“Vergewaltige eine Frau und du kommst in ein Gefängnis, wo du bis 22 Uhr offen bist und Playstation spielen kannst?!”

Von wegen arme Gefangene.

Als Letztes möchte ich nun auf einen Satz reagieren, der mich am meisten aufgeregt hat:

“… doch unser eigentliches Ziel ist die Abschaffung des Gefängnisses….”

Liebe Frau Mokre, liebe “Gefangenengewerkschaft”:

Ich bin ein Insasse im Maßnahmenvollzug, und da ich eben ein Insasse bin, bin ich somit auch ein “Insider”. In den paar Jahren, die ich wegen Raubdelikten sitze, habe ich einige menschliche Wesen kennengelernt.

Ein verurteilter Kinderschänder und ehemaliger Mitinsasse hatte damit geprahlt, dass er “nicht für alles verurteilt” wurde, und dass “das meiste”, was er getan hat, “nicht aufgeflogen” ist. Selbst im Gefängnis (!) belästigte er jüngere, bzw. “schwächere”, Mitinsassen und wurde dafür sogar verurteilt.

Ein anderer Mitinsasse erzählte mir, wie er sein Opfer fesselte, mit einem Schirmhalter bewusstlos schlug und es anschließend tötete, indem er mit einem Hammer auf den Kopf einschlug. Als Grund nannte er, dass er viele Serien und Dokumentationen gesehen hatte, in denen Mörder vorkamen, dass er “es selber” mal wissen wollte, wie es sich anfühlt, einem Menschen das Leben zu nehmen.

Ein anderer Insasse wollte eine Frau vergewaltigen. Als er jedoch die Frau zu Boden stürzte, verlor er auf einmal den “Mut”. Die Frau konnte fliehen und er kam ins Gefängnis.

All diese Leute sind, Frau Mokre, liebe Gefangenengewerkschaft, im Gefängnis und/ oder im Maßnahmenvollzug. Gott sei Dank. Und gäbe es Gefängnisse und den Maßnahmenvollzug nicht, wären alle auf freiem Fuß. 

Ich bitte die Menschen da draußen, sich für andere Menschen einzusetzen als für uns Insassen. Für Außenstehende mögen wir alle “Opfer” sein, doch das sind wir nicht.

Behandelt uns nicht wie Opfer!

Wenn ihr es nicht lassen könnt, euch für Insassen stark zu machen, dann geht zu den Gefangenen in Bulgarien, in Guantanamo, in Kuba.

Ich versichere Ihnen/ euch: Uns geht es gut. Sogar ein wenig zu gut …

Mit freundlichen Grüßen

Herrmann Genawa

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