Suizid in Stein. #ggbo
Am 24.10. 2021 hat sich Michael Hainzl in seiner Zelle in der JA Stein das Leben genommen. Er verbrachte nach einer achtmonatigen Gefängnisstrafe vier Jahre im Maßnahmenvollzug – ohne Chance auf eine Entlassung in absehbarer Zeit.
Michael ist bei weitem nicht der Einzige, der diesen letzten Ausweg aus dem Gefängnis wählt, aber einer der wenigen, über den – dank des Engagements seiner Familie – berichtet wird. Wir bedanken uns für die Erlaubnis, diesen Bericht von Kerstin Hainzl hier zu veröffentlichen.
Als ich Michael vor 21 Jahren kennengelernt habe, habe ich einen erwachsenen Menschen mit kindlichem Gedankengut wahrgenommen. Wir waren gleich alt und dennoch oft Jahre auseinander. Michael war manchmal sehr laut in seiner Fröhlichkeit und auch in seinem Ärger. Er hatte zu diesem Zeitpunkt durch unser System schon viele Kränkungen erfahren. Weil er „anders“ war. Menschen wie er erleben vieles im Leben oft höchst emotional.
So war dies auch bei der Trennung von seiner Freundin. Er wollte einfach nicht verstehen, dass es „AUS“ war. So sprach er ihr gegenüber Drohungen aus, welche Auswirkungen in unserem Rechtssystem nach sich ziehen, welche er in seiner kindlichen Welt niemals erfassen hätte können. Dies hat der damalige Psychologe Dr. Walzl in seinem Gutachten nie beachtet. Er hat in einem kurzen Gespräch über das Leben dieses Menschen entschieden.
So wurde Michael wegen „gefährlicher Drohung“ zu acht Monaten Gefängnis plus Maßnahme nach § 21 verurteilt. Maßnahme bedeutet, dass man das Gefängnis nur verlassen darf, wenn psychologische Gutachten besagen, dass man wieder „fähig“ ist am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die Dauer kann sich immer wieder verlängern. Nur einmal im Jahr wird überprüft, ob eine Unterbringung aufgehoben werden kann. Hier liefern Sachverständigen-Gutachten, die leider aufgrund der Personalknappheit oft mangelhaft oder unzureichend sind, die Grundlage für Entlassung oder Weiterbehaltung. Doch selbst wenn Gutachten besagen, dass man eigentlich nicht mehr im Gefängnis sein sollte, aber in eine Betreuung für psychisch kranke Menschen kommen müsste, bleibt man oft im „Häfn“.
Denn dies ist einer der blinden Flecken in unserem Rechtssystem. Es gibt weder eine richtige Resozialisierung im Gefängnis noch genügend adäquate Nachbetreuungsplätze draußen. So bleiben die psychisch kranken Menschen einfach weiterhin eingesperrt. Das dies einen „Haftschaden“ nach sich zieht, den Dr. Astrid Wagner bereits in vielen Interviews und Berichten angemerkt hat, ist wohl klar. Psychisch kranke Menschen bräuchten hier aber natürlich dann noch mehr Betreuung als „normale“ Insassen.
Doch bei Michael war dies nie der Fall. Selbst der Kampf seiner Familie plus der Rechtsanwältin, die sich seit vielen Jahren mit der Willkür des Maßnahmen-Vollzugs in Österreich beschäftigt konnten nicht helfen. Durch Recherche im Internet konnte ich selbst einige Artikel zu diesem Thema finden. Im Nachhinein gesehen, denke ich, dass die Wahrscheinlichkeit im Lotto einen 6er zu gewinnen höher ist/war, als das wir ihn dort jemals wieder rausbekommen hätten.
Da es Michael im Gefängnis natürlich psychisch immer schlechter und schlechter ging, kämpfe die Familie dafür, dass man einen privaten Psychologen zu ihm schicken durfte. Doch obwohl hier alle Kosten von der Familie selbst getragen wurden, wurde dies nach einiger Zeit wieder verboten. „Man brauche keine zusätzlichen Psychologen dort, man habe eh selbst genügend!“ war die Aussage.
Vor ein paar Wochen hatte er dann das erste Mal versucht sich umzubringen. Ich habe ihn dann auf der Baumgartner-Höhe in Wien besucht. Versucht ihn aufzubauen, ihm zu sagen, dass wir das alle gemeinsam schaffen. Das er sicherlich bald heraußen sein wird. Doch es war klar zu sehen, dass sein Lebensmut in den mehr als vier Jahren im Gefängnis kaum mehr existent war. Doch wie auch!
Unverständlich war zu diesem Zeitpunkt für mich auch, dass er bereits nach kürzester Zeit wieder zurück in die JVA Stein gebracht wurde. Viel zu kurz im Bezug auf die vorherrschende Suizidgefahr. Doch auch hier spielt wiederum das liebe „Geld“ eine der größten Rollen. Denn selbst wenn ein psychisch kranker Insasse bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, wird er so schnell wie möglich wieder aus einer behandelnden psychatrischen Anstalt zurück ins Gefängnis gebracht, weil die Kosten der Staat nicht tragen möchte.
Ich selbst spüre heute noch die Kälte und negative Energie, die dort vorherrscht. Und ich stand gestern nur vor dem Gefängnis. Wie muss ein Mensch sich fühlen, wenn er erst dort drinnen sitzen muss. Nur weil er in einem unbedachten Moment eine Aussage gemacht hat, die einem im Affekt sicher einmal schnell über die Lippen kommen kann.
Obwohl seine Familie in vielen Telefonaten mit der Betreuerin im Gefängnis darauf hingewiesen hatte, dass absolute Gefahr für einen Suizid bestand, hat er sich am 24. Oktober 2021 dennoch im Gefängnis das Leben nehmen können. „Sein letztes Mittel an Macht, welches er noch über sich selbst hatte!“ so schrieb es sein privater Psychologe in seiner Beileidsnachricht an die Familie. Auch dieser hatte nie verstanden, warum man Michael nicht schon längst entlassen hatte und warum er überhaupt in den Maßnahmen-Vollzug gekommen war.
Wer an seinem Leben hängt, kann nachvollziehen welche grenzenlose Verzweiflung in einem Menschen herrschen muss, um den Akt des Suizids durchzuziehen. Doch für ihn war die Freiheit im Tod mehr wert als das Leben ihm dort jemals hätte geben können. Verständlich…
Durch die eigene Geschichte mit Michael beschäftigt sich die Familie nun schon seit Jahren mit den Missständen, die dort herrschen. So ist es wichtig, dass der Tod von Michael nicht umsonst war. Sondern Menschen wachgerüttelt werden! Man endlich hinschaut. Auf die blinden Flecken in unserem Rechtssystem. Schon lange fordert die Erwachsenenvertretung eine umfassende Reform des derzeitigen Systems, die Beseitigung der strukturellen Missstände und eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. So unter anderem, dass Personen mit intellektuellen Beeinträchtigungen nicht im Maßnahmenvollzug untergebracht werden dürfen, da sie in aller Regel einer entsprechenden Therapie nicht zugänglich sind, die Begrenzung auf Delikte mit mehr als dreijähriger Strafdrohung; eine massive Verbesserung der Gutachten und der Gefährlichkeitsprogrnosen; die Bereitstellung adäquater Vertretung im Verfahren, wie sie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte empfiehlt. Doch obwohl der Staat Österreich bereits mehrfach vom Europäischen Gerichtshof fürMenschenrechte (EGMR) wegen der vorherrschenden Missstände im Maßnahmenvollzug verurteilt wurde, denn faktisch existiert das ursprüngliche Prinzip „Theraphie statt Strafe“ nicht mehr, lassen entsprechende Reformveränderungen seit vielen, vielen Jahren auf sich warten. (Zusätzlich zu den Verurteilungen des Staates gab es auch noch „Vergleiche“, die zwischen dem Staat Österreich und geschädigten Insassen, bzw. deren Hinterbliebenen, getroffen wurden. So kam es in diesen Fällen zu keinen weiteren Verurteilungen des Staates Österreich.)
Weiters ist es uns natürlich auch wichtig, dass der Tod aufgeklärt wird. Denn auch hier ist es wichtig zu wissen, aus welchem Grund die Obsorgepflicht verletzt wurde und er sich trotz Aufenthalt in einer videoüberwachten Zelle das Leben nehmen konnte.
War es aus Mangel an Personal – dann darf hier nicht der diensthabende Justizbeamte verurteilt werden. Denn hier muss es dann zu einer Verurteilung des Systems kommen. Denn aus vielen Berichten ist bekannt, auch wenn alle Planstellen im Justizvollzug besetzt sind/wären, es immer noch einen umfangreichen Personalmangel gibt/gebe.
War es aber, weil man einfach keine Lust darauf hatte, die ganze Zeit auf das Video zu schauen. Weil man sich eh dachte, der tut sich schon nix an. Dann muss auch dies Folgen haben. Denn dann muss besonders Personal, welches mit solchen Betreuungen betraut wird, extra geschult werden. Es muss festgestellt werden, ob bei diesen Menschen noch Empathie für Insassen vorhanden ist. Denn sonst sollte man sich überlegen, ob es nicht besser wäre, solche Beamten zu versetzen.
Aus all diesen Gründen muss man die Menschen weiterhin wachrütteln. Über den Suizid von Michael erzählen und damit auch die Probleme, die hier vorherrschen ansprechen.
Kerstin Hainzl